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Charité PapagainPlatte WBS70: Eine Liegenschaft, drei Positionen

Ein Gebäude mit 144 Wohnungen soll abgerissen werden. Eine Initiative kämpft für den Erhalt günstiger Personalwohnungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Charité und Bundeswehrkrankenhauses. Am Runden Tisch 31 äußern sich drei Protagonisten. Hier stellen wir ihre Positionen nebeneinander.


Ein Liegenschaftsfall eingereicht am: 24.02.2020 von Daniel Diekmann / Mieter*innengewerkschaft IG HAB

Redaktion: Maria Haberer, Koordinierungsstelle Runder Tisch Liegenschaftspolitik

Mieter*innen mit Baustadtrat Ephraim Gothe


Zum Hintergrund


Neubau von 1984 für Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Charité: Papageienplatte, fünf Häuser, 106 Wohnungen von 30 / 40 / 60 / 90 m² mit insgesamt fünf 5100 m² Wohnfläche in einem Block, an einem Stück.


Verkauf durch das Land Berlin, SenFin Thilo Sarrazin 2006 für 2.020.000 €. Erwerb durch den damaligen Chefarzt der Rettungsstelle im Wedding Doktor Thomas Bodemann. 2006 Übergang der Liegenschaft an die GbR Klust & Bodemann.Umfangreiche energetische Sanierung 2008. Über alle fünf Häuser erstreckt sich eine vollflächige Photovoltaik Anlage. 2018 wurde die gesamte Liegenschaft für rund 20 Millionen an den Investor Arcadia Estates weiter verkauft. Diese wollte zunächst angeblich modernisieren stellte dann aber einen Bauantrag für 91 Luxus Apartment mit 46 Tiefgaragenstellplätze. Wenig später wurde ein Abrissantrag für den Neubau WBS70 aus 1984 gestellt. Dieser wird vor den Verwaltungsgerichten verhandelt. Allen Mietern wurden Verwertungskündigung zugestellt. Seit Jahren große Leerstand mit derzeit über 85 Wohnungen.

15 Mieter sind noch im Haus und sollten zum 1. Mai 2019 ihre Schlüssel abgeben. Sie entschieden sich zur Anschluss Besetzung. In der Zwischenzeit wurde nach ZweckEntfremdungVerbotsgesetz über 80 Verfahren durch das Bezirksamt eröffnet. Die ehemalige Pension der Charité (20 Zimmer) wurde vom Nutznießer der Privatisierung als Gästehaus Berlin Mitte Hotel ausgebaut und betrieben. Der Jugendclub im Haus wurde in Hotelzimmer umgebaut und nach dem Verkauf 2018 dann komplett stillgelegt. In der Zwischenzeit wurde vom neuen Eigentümer in der Zwischennutzung, der Hotelbetrieb wieder aufgenommen und die Zweckentfremdung in den ehemaligen Mieterwohnungen mit Hotelappartments schreitet voran. Jetzt unter dem Namen „Arena Rooms Mitte“. Präzedenzfall für die ZweckentfremdungsverbotsVerordnung mit negativer Abrissversagung durch das Bezirksamt. Zuständig sind Herr Gothe und Frau Reiser.


Inzwischen haben sich Erbbaurechte und Vergaben im Erbbaurecht in besonderer Weise als Instrumente gegen Spekulation und die Kapitalisierung von Boden herauskristallisiert und ermöglichen gleichzeitig Vorgaben in Bezug auf Nutzungen und Ausnutzung einzubringen. Doch auch ein Erbbaurecht kann intransparent, hinter verschlossenen Türen und ohne große Öffentlichkeit vergeben werden.


Hier kommt das Instrument der Vergabe im Konzeptverfahren ins Spiel. Konzeptverfahren bieten die Möglichkeit, Vergaben öffentlich, transparent und nach klar definierten Regeln umzusetzen. Der Runde Tisch Liegenschaftspolitik setzt sich daher seit Jahren für die Entwicklung modellhafter Konzeptverfahren ein, die niedrigschwellige Zugänge bei größtmöglicher Transparenz ermöglichen.



 

Position 1: Daniel Diekmann, Mieter*Innengewerkschaft IG HAB


„Wollen wir halb Berlin abreißen?“


„Als demokratisch legitimierter Sprecher des Mieterrats spreche ich für die neun verbliebenen Mieter*innen, die aktuell in der Habersaathstraße 40–48 wohnen. Diese Liegenschaft wurde 2008 von Thilo Sarrazin an einen privaten Eigentümer verkauft. Damals versprach uns Herr Sarrazin: „Kauf bricht Mieten nicht“. Wir hätten unbefristete Charité-Werkmietverträge, daran müssen sich auch alle nachkommenden Käufer halten.


Dann ging es Schlag auf Schlag. Im März 2018 erhielten wir Modernisierungsankündigungen, es folgten die Verwertungskündigungen. Aktuell stehen 85 Wohnungen leer. Dramatisch auch schon vor dem Hintergrund des aktuellen Wohnungsbedarfs in Berlin. Ich habe zwar einen kurzen Draht zu Herrn Dr. Pichotta, dem Geschäftsführer der ARCADIA Estates GmbH, aber wirkliche Gespräche über unsere Zukunft fanden nie statt.


Wir fragen uns: Wie kann es sein, dass ein erst vor 10 Jahren energetisch saniertes Gebäude abgerissen werden soll? Was würde das für die vielen vergleichbaren Bestandsgebäude in Berlin bedeuten? Gäbe es keine andere Lösung als den Neubau, müsste man ja halb Berlin abreißen. Das kann ja nicht die Lösung sein, oder?“



 

Position 2: Vertretung der ARCADIA Estates GmbH durch Clemens Lammek, RA Sozietät von Trott zu Solz und Lammek


„Statt 5.000 sollen hier 8.000 Quadratmeter Wohnfläche entstehen“


„Unsere Kanzlei vertritt die Eigentümerseite seit 2018. Damals lagen bereits die Baugenehmigungen für eine Neuerrichtung der Gebäude in der Habersaathstraße vor. Diese Baugenehmigung ist ein klares Signal: Hier geht Wohnraum nicht einfach unwiederbringlich verloren, sondern 5.000 Quadratmeter sollen durch etwa 8.000 Quadratmeter neuen Wohnraum ersetzt werden.


Unsere Mandanten haben sich lange mit dem Zustand der Bestandsgebäude befasst und haben erhebliche Mängel im Brand- und Lärmschutz festgestellt, deren Beseitigung nach Einschätzung von zwei beauftragten Gutachtern wirtschaftlich unzumutbar ist. Wohnraum ist nach dem Zweckentfremdungsgesetz nicht mehr schützenswert, wenn die Sanierung wirtschaftlich nicht zugemutet werden kann mit der Folge, dass nach Abriss an gleicher Stelle neuer und zugleich mehr Wohnraum errichtet werden kann.


Daher verstehen wir die Einschätzung des Bezirks nicht, dass in diesem Fall der Abrissantrag abgelehnt wurde. Ein Abrissantrag kann dann abgelehnt werden, wenn kein Ersatzwohnraum angeboten wird. Das ist hier nicht der Fall. Die Behörde kann auch 7,92 € als Miete für den neuen Ersatzwohnraum festsetzen. Falls das Gericht das allerdings anzweifelt – und das wurde in der Vergangenheit so gehandhabt – wird sich der Eigentümer von dieser Begrenzung freistellen.

Der Eigentümer bietet seit Jahren den Mietern und den Behörden den Dialog an. Wir haben den Mietern gesagt, dass sie auf diesem Grundstück oder auf einem anderen Grundstück jederzeit einen Wohnmietvertrag bekommen können – zu Konditionen, die wir im Detail besprochen haben. Insofern ist es auch beispielsweise Herrn Diekmann möglich, nach einer Neuerrichtung des Gebäudes im Neubau zu Konditionen auf der Basis von 6,50 Euro Nettokaltmiete dort zu wohnen, wenn er das möchte.


Wir bieten den Dialog an. Wir haben den Mietern gesagt, dass sie auf diesem Grundstück oder auf einem anderen Grundstück jederzeit einen Wohnmietvertrag bekommen können zu Konditionen, die wir im Detail besprochen haben. Und dazu stehen wir auch. Und insofern ist es auch Herrn Diekmann möglich, nach einer Neuerrichtung des Gebäudes zu Konditionen auf der Basis 6,50 Euro Netto/Kalt dort zu wohnen, wenn er das möchte.“



 

Position 3: Ramona Reiser, Bezirksamt Mitte


„Bei der Habersaathstraße 40–48 handelt es sich um schützenswerten Wohnraum“


„Als Bezirksstadträtin im Bezirk Mitte für die Bereiche Jugend, Familie und Bürgerdienste bin ich auch für das Thema Zweckentfremdungsverbot zuständig.


Schon Ende 2018 hat der Eigentümer der Habersaathstr 40–48 Abrissanträge für 105 Wohnungen gestellt. Wir haben als Bezirk in diesem Fall die Abrissgenehmigung abgelehnt. Das Zweckentfremdungs­verbotsgesetz sieht vor, dass ein Abriss genehmigt werden kann, wenn angemessener Ersatzwohnraum zu höchstens 7,92 € pro Quadratmeter entsteht. Der Eigentümer wollte oder konnte das lange Zeit nicht leisten und das Gericht hat leider unsere Anordnung zur sofortigen Wiedervermietung der Wohnung ausgesetzt. Daher befinden wir uns seit Jahren in einem Rechtsstreit. Ende November 2020 lud das Verwaltungsgericht zu einem Erörterungstermin ein und legte einen gerichtlichen Vergleichsvorschlag auf den Tisch. Auf Grundlage dieses Vergleichsvorschlages habe ich die Nachverhandlungen mit dem Eigentümer übernommen, aber habe letztendlich keiner Einigung zugestimmt. Der Fachbereich und ich werden weiterhin keine Abrissgenehmigung erteilt. Dazu gibt es auch einen BVV-Beschluss und ja, das Verfahren läuft jetzt weiter. Ich denke, Gespräche sind immer gut, aber das Angebot des Eigentümers war eben nicht ernst zu nehmen. Der Termin für die mündliche Verhandlung ist noch nicht festgesetzt.


Die eigentliche Streitfrage ist weiterhin: Handelt es sich hier um schützenswerten Wohnraum? Ich sehe das auf jeden Fall so und der Bezirk sieht das genauso. Natürlich haben wir hier schützenswerten Wohnraum: komplett von oben bis unten und von vorne bis hinten.“

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