Wenn der Berliner Senat ein neues Projekt plant, geht das meist nur holprig vonstatten. Die Planungsdesaster in Berlin sind inzwischen legendär. Ob beim Flughafen BER, dem Tempelhofer Feld oder der Rummelsburger Bucht: Die Berliner Verwaltung ist dafür bekannt, teure Planungen lange geheim zu halten, um sie anschließend überstürzt umzusetzen. Das Bündnis für ein Berliner Transparenzgesetz will das ändern.
von Marie Jünemann und Arne Semsrott
Die Forderung: Informationen über die öffentliche Hand sollen auch der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.
Gerade der Streit um die Zukunft der Rummelsburger Bucht hat gezeigt: Häufig haben zivilgesellschaftliche Initiativen keinen Zugriff auf wichtige Planungsdokumente, Übersichten staatlicher Liegenschaften oder Verträge der öffentlichen Hand. Diese Intransparenz führt zu einem strukturellen Ungleichgewicht in der Stadtgesellschaft. Denn Wissen ist Macht und wer keinen Zugang zu Informationen hat, kann auch nicht auf Augenhöhe mitreden.
Das Bündnis für ein Berliner Transparenzgesetz bringt nun Bewegung in die Berliner Demokratie. Im Dezember 2019 hat die Initiative fast 33.000 Unterschriften für einen Antrag auf ein Volksbegehren eingereicht.
Das Transparenzgesetz der Initiative soll die Berliner Verwaltung, Politik und die landeseigenen Unternehmen verpflichten, zentrale Dokumente im Internet zu veröffentlichen. So sollen Verträge der öffentlichen Hand, Treffen zwischen Lobbyist*innen und Senator*innen, Liegenschaftspläne, Abwendungsvereinbarungen und Umweltdaten und viele weitere Informationen auf einer eigenen Online-Plattform zu finden sein – barrierefrei und maschinenlesbar.
Die Idee einer offenen Demokratie mag für Berlin neu sein.
Anderswo gehört sie längst zur Verwaltungskultur. Vorreiter in Deutschland ist Hamburg. Die Hansestadt beschloss 2012 als Reaktion auf das Desaster um die Elbphilharmonie ein Transparenzgesetz. Berlin hat eigentlich nichts zu verlieren: Die Erfahrungen in Hamburg zeigen, dass auch die Verwaltung von mehr Transparenz profitiert, da sich durch ein zentrales Transparenzportal auch für die Behörden alle Informationen an einem Ort befinden.
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Der Gesetzentwurf des Senats – ein Gesetz mit Schlupflöchern
Am 2.3. diesen Jahres verabschiedete der Rot-Rot-Grüne Berliner Senat endlich einen eigenen Gesetzentwurf für ein Berliner Transparenzgesetz. Mit dem vorgelegten Entwurf plant der Senat zwar, die Verwaltung zur Veröffentlichung mancher Dokumente zu verpflichten. Dabei bleibt er aber hinter dem inzwischen neun Jahre alten Hamburger Vorbild zurück. Zudem will rot-rot-grün zahlreiche neue Ausnahmen von der Informationspflicht schaffen, die die Informationsfreiheit im Vergleich zum jetzigen Informationsfreiheitsgesetz sogar verschlechtern würden. So sollen etwa Schulen und Hochschulen weitgehend vom Gesetz ausgenommen werden.
Auch im Bereich des Datenschutzes sieht der Entwurf bedenkliche Neuregelungen vor: Antragsteller:innen sollen gezwungen werden, beim Antrag ihre Identität preiszugeben. Wie dies konkret zu erfolgen hat, ist unklar. Es ist davon auszugehen, dass Antragsteller:innen aufgefordert werden, Kopien ihres Personalausweises an die Behörde zuzusenden. Dies stellt eine unnötige und den Datenschutz gefährdende Maßnahme dar, die dem Grundprinzip der Datensparsamkeit widerspricht. Praktisch hat die vorgesehene Regelung keinen Zweck außer Abschreckung, da der Informationszugang eigentlich per se voraussetzungslos ist.
Schlussendlich ist auch die im Entwurf festgelegte maximale Auskunftsfrist, die auf drei Monate verlängert wurde, international einzigartig. Längere Fristen gibt es weltweit nirgendwo. Gebühren, die nach dem IFG erst nach Auskunftserteilung fällig werden, können nach dem Entwurf des Senates von der informationspflichtigen Stelle bereits vor der Herausgabe der Informationen eingefordert werden. Damit entscheidet der eigene Geldbeutel noch stärker über die Bekanntgabe und Einsicht in politische Informationen. Chancengleichheit sieht anders aus.
Im Hinblick auf all diese Rückschritte stellt der Entwurf des Senats eine Verschlechterung der Informationsrechte der Bürger*innen im Vergleich zum derzeitigen IFG darstellt. Die Initiative Volksentscheid Transparenz drängt auf entscheidende Verbesserungen des Entwurfes und setzt sich weiterhin für ein progressives Transparenzgesetz für die Hauptstadt ein.
Wie würde sich unser progressives Transparenzgesetz auf die Liegenschaftspolitik auswirken?
Das Beispiel Rummelsburger Bucht
Bereits bevor im April 2019 die Bezirksverordneten Lichtenbergs dem umstrittenen Bebauungsplan XVII-4 Ostkreuz zustimmten, formierte sich eine Volksinitiative dagegen und für die Rückabwicklung der Kaufverträge mit der Coral World GmbH.
Anfang 2020 trugen die Vertreter*innen der erfolgreichen Volksinitiative ihre Forderungen und Argumente zum Bebauungsplan Ostkreuz in einer Sondersitzung des Haupt- und Stadtplanungsausschuss im Abgeordnetenhaus vor. Drei Monate später diskutierte dann das Plenum über die Forderungen, übernahm diese aber nicht.
Das Argument der damaligen Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Die LINKE) gegen die Rückabwicklung: Berlin sei zu massiven Entschädigungszahlungen verpflichtet. Wirklich nachvollziehbar ist dies jedoch nicht, da die Berliner Öffentlichkeit bis heute keine Einsicht in die Verträge mit der Coral World GmbH erhält.
Ein progressives Transparenzgesetz würde dies ändern: Nach § 5 Abs. 4 des Gesetzentwurfs der Initiative, müssen Verträge der Stadt ab einem Wert von 100.000 Euro auf einem Berliner Transparenzportal veröffentlicht werden. Zudem sind diese Verträge so auszugestalten, dass sie erst einen Monat nach Veröffentlichung in Kraft treten. Damit sollen gerade solch hohe Entschädigungszahlungen wie in diesem Fall, vermieden werden. Nicht nur hätten diese also durch ein Transparenzgesetz umgangen werden können, sondern auch die spätere Argumentation von Frau Lompscher ließe sich besser überprüfen. Im bisherigen Gesetzentwurf des Senats müssen ausschließlich Verträge der Daseinsvorsorge herausgegeben werden. Die Verträge der Rummelsburger Bucht fallen nicht darunter. Dahingehend weist der Entwurf Lücken auf.
Ein weiterer Knackpunkt: Der Verkaufspreis von 20 Mio. Euro wurde im Nachhinein vielfach als deutlich unter dem Marktwert der Liegenschaft beanstandet. Doch auch diese Kritik wurde erst durch eine kleine Anfrage der Grünen möglich. Ein progressives Transparenzgesetz hätte nicht nur den in den Verträgen festgelegten Preis für die Liegenschaft öffentlich gemacht. Auch hätte die Öffentlichkeit sich durch das auf dem Berliner Transparenzportal veröffentlichte leicht zugängliche Liegenschaftskataster ein schnelles Bild von der Liegenschaft machen und deren Wert einschätzen können.
Daneben wären auch noch alle vom Senat oder dem Bezirk die Liegenschaft an der Rummelsburger Bucht betreffenden Protokolle, Gutachten, Pläne, Angaben zu Nutzungszwecken, Umweltmessungen sowie amtliche Statistiken und Studien auf dem Berliner Transparenzportal leicht durchsuchbar veröffentlicht worden.
Im Gesetzentwurf des Senats sind Gutachten, Studien oder sämtliche Statistiken, welche der politischen Willensbildung zu Grunde liegen, ausdrücklich von der Veröffentlichung und Herausgabe ausgeschlossen. Auch die Herausgabe von Protokollen des Senats oder der Bezirksausschüsse sind nicht vorgesehen. Das Liegenschaftskataster und in diesem enthaltende oder über dieses hinausgehende Nutzungszwecke öffentlicher Liegenschaften, müssten auch nicht auf einem Transparenzportal veröffentlicht werden.
Das Beispiel Rummelsburger Bucht zeigt anschaulich: Alle für Berliner*innen, Journalist*innen und Initiativen wichtige Informationen zu einem Sachverhalt wären durch ein progressives Transparenzgesetz schnell und zentral nachvollziehbar.
Durch die Veröffentlichung der Verträge kann öffentlich Kontrolle überhaupt erst ausgeübt werden.
Ein Transparenzgesetz hätte nicht nur den öffentlichen Diskurs zur Causa Rummelsburger Bucht bereichert, sondern auch allen Beteiligten die gleiche Informationsgrundlage bereitgestellt. Nur so kann auch in Zukunft eine Diskussion auf Augenhöhe zwischen Bezirk und Senat und Zivilgesellschaft ermöglicht werden. Das Abgeordnetenhaus sollte deshalb wesentliche Verbesserungen bei dem Transparenzgesetz des Senats für den Bereich der Liegenschaftspolitik vornehmen.
Dies ist der festgesetzte Bebauungsplan XVII-4 für das Gelände zwischen Marktstraße, Karlshorster Straße und deren südlicher Verlängerung, Rummelsburger See, südlicher Grenze des Grundstücks Kynaststraße 18 und deren östlicher Verlängerung und der östlichen Grenze der Kynaststraße mit Ausnahme einer Teilfläche östlich der Kynastbrücke sowie für Teilflächen der Marktstraße und einen Abschnitt der Karlshorster Straße im Bezirk Lichtenberg, Ortsteil Rummelsburg, festgesetzt am 21.05.2019.
Veröffentlichung der Rechtsverordnung: Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin vom 18.06.2019 auf Seite 286 [LINK]
Forderungen des Volksentscheid Transparenz im Bereich Liegenschaftspolitik
Auf einem Berliner Transparenzportal sollen von der Berliner Politik, Verwaltung und von landeseigenen Unternehmen innerhalb von 10 Arbeitstagen* nach Erstellung maschinenlesbar,* kostenlos* und barrierearm* folgende Informationen zur Liegenschaftspolitik des Landes veröffentlicht werden:
Gesetze, Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften
Tagesordnungen, Beschlüsse, Vorlagen und Rundschreiben des Senats*
Verträge mit einem Wert über 100.000 Euro, einen Monat vor in Kraft treten*
Mitteilungen des Senats an das Abgeordnetenhaus oder den Bundesrat*
Amtliche Statistiken, Gutachten und Studien*
Daten und Pläne zu öffentlichen Liegenschaften, insbesondere Liegenschaftspläne und Angaben über Nutzungszwecke*
Katasterdaten,* Geodaten, Karten und Mietspiegel, öffentliche Pläne und Konzepte, insbesondere Bauleit- und Landschaftspläne und ihre Entwürfe und Begründungen, sowie das Verzeichnis der öffentlichen Grün- und Erholungsanlagen und das Landschaftsprogramm*
die wesentlichen Regelungen erteilter Baugenehmigungen, Bauvorbescheide
Informationen, hinsichtlich derer öffentliche Stellen eine Beteiligung der Öffentlichkeit durchführt*
Wesentliche Daten von landeseigenen Unternehmen oder sonstigen Organisationen, an denen das Land Berlin beteiligt ist, einschließlich einer Darstellung der jährlichen Vergütung, einschließlich aller Zusatzleistungen wie Boni oder geldwerten Sach- und Versorgungsleistungen für die Mitglieder der Leitungsebene
Veröffentlichte, veröffentlichungswürdige, sowie zur Herausgabe angefragte Gerichtsentscheidungen
Informationen über die personelle Zusammensetzung von Aufsichtsräten, Geschäftsführungen, Steuerungsausschüssen oder anderweitig an Entscheidungsprozessen beteiligte Gremien*
Informationspflichtig sollen werden:
Behörden / sonstige Stellen der unmittelbaren und mittelbaren öffentlichen Verwaltung
Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts
natürliche oder juristische Personen und deren Vereinigungen, soweit sie öffentliche Aufgaben wahrnehmen oder öffentliche Dienstleistungen erbringen und dabei der Kontrolle des Landes oder einer anderen informationspflichtigen Stelle unterliegen, einschließlich juristischer Personen, die vom Land Berlin gemeinsam mit anderen Ländern oder dem Bund gegründet wurden und die ihren Sitz in Berlin haben*
Informationspflichtige Stellen gewähren Berliner*innen auf Antrag innerhalb von 15 Arbeitstagen*kostenlos Zugang* zu sämtlichen Informationen* im Bereich Liegenschaftspolitik, außer diese Informationen
Vereiteln den Erfolg einer oder mehrerer Entscheidung/en
Verletzen den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung
Schädigen internationale Beziehungen, innere Sicherheit, Beziehungen von Bund und Land oder die Landesverteidigung
Beeinträchtigen Gerichtsverfahren
Offenbaren Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse von landeseigenen Unternehmen
Es sei denn, das öffentliche Interesse überwiegt.
Des Weiteren fordern wir, dass das Abgeordnetenhaus aus dem Gesetzentwurf des Senats:
Sämtliche Verschlechterungen zum bisherigen IFG (zusätzliche Bereichsausnahmen, weitreichende Ausnahmetatbestände, zu lange Fristen, Identitätspflicht) streicht und
sich am Hamburgischen Transparenzgesetz (in Bezug auf veröffentlichungspflichtige Informationen, Rechte des BfDI, Organisationspflichten) als Mindeststandard orientiert
Die Autor*innen
Marie Jünemann
Mehr Demokratie e.V.
Arne Semsrott
Open Knowledge Foundation