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Tegel und die Zeitenwende

Das Schumacher Quartier auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tegel ist das wohl ambitionierteste Wohnprojekt Berlins: Entstehen soll ein nachhaltiges, autofreies Quartier mit über 5.000 Wohnungen, größtenteils aus Holz gebaut, mit innovativen Energiekonzepten und sozial durchmischtem Wohnen. Doch die Herausforderungen sind in den vergangenen Jahren gewachsen: langwierige Bebauungsplanverfahren, verschobene Konzeptverfahren, Kostensteigerungen, erschwerte Finanzierungsbedingungen und sich wandelnde politische Prioritäten sorgen für Frustration unter Baugruppen und Genossenschaften. Simon Wöhr fragte für die Initiative StadtNeudenken bei Gudrun Sack, Geschäftsführerin der Landestochter Tegel Projekt GmbH, nach, wo Berlin mit dem Vorhaben steht.


von Simon Wöhr


Bild: Simon Wöhr


Oya Sönmez, Architektin und engagiertes Mitglied einer potenziellen Baugruppe, war lange voller Tatendrang: „Wir haben in der Gruppe unglaublich viel Zeit und Energie investiert. Wir haben Modelle entwickelt, Wohnkonzepte erstellt, Architekturbüros kontaktiert – wir waren bereit.“ Die Baugruppe bereitete sich intensiv auf das angekündigte Konzeptverfahren vor. Über zwei Jahre lang, beginnend im Winter 2021/22, arbeiteten Sönmez und ihre Mitstreiter*innen an dem Projekt. Etwa 50 Parteien fanden sich nach und nach. Es gab verschiedene Arbeitsgruppen und einen monatlichen Jour Fixe für alle. Doch dann geschah: nichts. „Es gab immer wieder Ankündigungen, dass es bald losgeht, aber dann kam keine offizielle Ausschreibung. Die Frustration wuchs von Monat zu Monat,“ so Sönmez.


„Die Frustration wuchs von Monat zu Monat” – Oya Sönmez, Mitglied einer potenziellen Baugruppe


Dieses Gefühl der Unsicherheit und des Wartens führte dazu, dass sich viele der ursprünglichen Mitglieder der Baugruppe inzwischen anderen Projekten zugewandt haben. Einige zogen ins Ausland, andere schlossen sich Baugruppen in anderen Berliner Bezirken an. Sönmez selbst hat ihre Pläne ebenfalls an das Tempo der Entwicklung angepasst: „Wenn ich heute noch mal starten würde, dann mit einem gemeinschaftlichen Wohnprojekt für die Zeit nach der Familienphase, wenn die Kinder aus dem Haus sind.“


Die Verantwortlichen bei der Tegel Projekt GmbH sind sich der Probleme bewusst. Gudrun Sack bedauert, dass die frühzeitige Informationsveranstaltung möglicherweise falsche Erwartungen geweckt hat: „Im Nachhinein betrachtet, hätten wir mit den Ankündigungen vorsichtiger sein müssen. Wir waren damals zu optimistisch, was die zeitlichen Abläufe betrifft“, betont die Geschäftsführerin im Gespräch mit StadtNeudenken. Denn dann kam alles anders: Die Festsetzung des Bebauungsplans zog sich bis Ende 2024. „Wir hatten lange keinen rechtskräftigen Bebauungsplan, und ohne diesen können keine Verfahren durchgeführt werden. Das hat den Zeitplan erheblich zurückgeworfen“, erklärt Sack. Auch der Kauf des Areals durch das Land Berlin vom Bund brauchte Zeit – zwar wurde der Vertrag bereits vor drei Jahren unterzeichnet, aber erst vor wenigen Monaten rechtskräftig. Dies zusammen führte bereits zu Verzögerungen in der Projektentwicklung und hinzu kommt nun die sich in der Zwischenzeit völlig veränderte weltpolitische und wirtschaftliche Lage. „Wir haben heute eine völlig andere Situation als vor drei Jahren. Damals wäre aus Marktsicht ein guter Zeitpunkt gewesen, schnell mit den Konzeptverfahren zu starten. Die Dynamik ist aktuell eine vollkommen andere“, so Sack.


Visualisierung des künftigen Schumacher Quartiers, Copyright: Tegel Projekt GmbH

Visualisierungen des Quartierplatzes, Copyright: Tegel Projekt GmbH


Eine zentrale Herausforderung sei der Rückzug von Banken aus der Finanzierung von Baugruppenprojekten. Insbesondere in Berlin haben sich die Finanzierungsbedingungen für Baugruppen verändert. „Ohne Banken gibt es keine Baugruppen – und ohne finanzierbare Projekte laufen Ausschreibungen unweigerlich ins Leere. Wir wollen aber, dass diese Verfahren erfolgreich sind, dass sich Akteurinnen und Akteure finden, die die Mission des Schumacher Quartiers teilen und hier investieren. Deshalb haben wir das Ohr am Markt“. Gleichzeitig versteht Sack den Druck, das Schumacher Quartier schnell in Gang zu bringen.


„Wir müssen anfangen. Es ist wichtiger, dass der Bau endlich losgeht, als auf den perfekten Moment für alle Konzepte zu warten.“ – Gudrun Sack, Geschäftsführerin der Tegel Projekt GmbH


Das bedeutet in der Praxis: Zunächst werden die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften mit dem Bau beginnen. Die Konzeptverfahren für Baugruppen und Genossenschaften sollen weiterhin fester Bestandteil des Quartiers bleiben und sind auch bereits vorbereitet. „Eine Entscheidung, wann sie starten, wird in den nächsten Wochen getroffen“, erklärt Sack.


„Die Akteursverteilung hat sich nicht geändert: 50 Prozent der Flächen gehen an landeseigene Gesellschaften, 40 Prozent an Genossenschaften und Baugruppen, 10 Prozent an Sonderwohnformen. Das bleibt bestehen.“ – Gudrun Sack, Geschäftsführerin der Tegel Projekt GmbH


Trotz aller Schwierigkeiten bleibt das Schumacher Quartier ein Modellprojekt mit Vorbildcharakter. Das LowEx-Wärmenetz, die konsequente autofreie Planung und die nachhaltigen Bauweisen sind Konzepte, die über Berlin hinaus Beachtung finden. „Wir haben es geschafft, dass das gesamte Areal im Erbbaurecht bleibt. Das ist weltweit einzigartig und sichert den Boden langfristig für gemeinwohlorientierte Nutzung“, so Sack.


Der Masterplan für den ehemaligen Flughafen. Das Schumacher Quartier entsteht im Osten Richtung Kurt-Schumacher-Platz (U-Bahnlinie 6) , Copyright: Tegel Projekt GmbH



Die Planung des Schumacher Quartiers im Detail, Copyright: Tegel Projekt GmbH


Und auch Oya Sönmez gibt das Schumacher Quartier noch nicht auf. „Wenn es wirklich losgeht, bin ich vielleicht doch wieder dabei. Die Idee ist einfach zu gut, um sie nicht weiterzuverfolgen.“

Wie Sönmez hoffen viele Berliner*innen, dass die Verzögerungen bald ein Ende finden und das Schumacher Quartier endlich vom Plan zur Realität wird. Derzeit konzentriert sich die Tegel Projekt GmbH darauf, die grundlegende Infrastruktur zu schaffen: Straßenbau und Versorgungsnetze sind in Arbeit, um die Basis für den späteren Hochbau zu legen. Auf dieser Grundlage soll das Quartier in den kommenden Jahren schrittweise wachsen und sich weiterentwickeln.


"Ich vergleiche das Projekt gerne mit einem riesigen Dampfer, der gerade den Hafen verlässt: Wir wissen, wo wir hinwollen, aber es braucht eben seine Zeit und wendige Manöver sind nicht möglich“ sagt die Geschäftsführerin im Hinblick auf Forderungen aus Architektenkreisen, dass man doch „hausweise“ und in „einzelnen Wettbewerben“ die Grundstücke vergeben sollte. „Sicherlich sind das schöne Ansätze“, sagt Sack, die selbst vor ihrer Zeit hier als Architektin mehrere Konzeptverfahren mitgemacht hat. In ihrer Aufgabe als Geschäftsführerin der Tegel Projekt GmbH muss sie jedoch das große Ganze im Blick behalten und sie versichert zum Schluss: „Ich möchte gerne an all dem festhalten, was in den vergangenen Jahren Ergebnis von Partizipationsveranstaltungen war. Das arbeiten wir jetzt pragmatisch ab, trotz Turbulenzen.“


Während viele Kultur- und Stadtentwicklungsprojekte mit drastischen Haushaltskürzungen zu kämpfen haben, bleibt die Tegel Projekt GmbH finanziell uneingeschränkt handlungsfähig. Auf Nachfrage zu möglichen Kürzungen erklärt die landeseigene Gesellschaft, dass ihr die bereits bewilligten Mittel „voraussichtlich weiterhin zur Verfügung stehen“. Zumindest vor dieser Zeitenwende hat Berlins Senat die Entwicklung Tegels wohl verschont.

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