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Modellprojekte: Prototypen oder Unikate?

Das Haus der Statistik am Alexanderplatz und der Rathausblock Kreuzberg werden als „Modellprojekte“ kooperativer und gemeinwohlorientierter Stadtentwicklung bezeichnet. Was bedeutet es, ein Vorhaben so zu nennen? Sogar die Akteur*innen in den Projekten selbst verstehen unter dem Begriff „Modellprojekt“ verschiedene, teilweise unvereinbare Dinge. Doch das kann auch produktiv sein. Ein Artikel über produktive Missverständnisse und geplantem Zaudern.


von Rebecca Wall & Felix Marlow


Foto: Raquel Gomez


Was wir im Folgenden über den Begriff „Modellprojekt“ schreiben, entstammt unseren Beobachtungen aus dem Haus der Statistik und dem Rathausblock Kreuzberg – zwei Modellprojekten kooperativer und gemeinwohlorientierter Stadtentwicklung in Berlin. Wir haben das Glück, seit einiger Zeit in und mit diesen Modellprojekten zu arbeiten und zu forschen. Unsere Forschung basiert dabei auf der Arbeit und der Energie vieler Menschen, die einen erheblichen Teil ihrer Lebenszeit in das Gelingen dieser Modellprojekte stecken. Beide Modellprojekte stehen zudem auf den Schultern von Ries*innen – nicht zuletzt auf den Schultern einer vielgestaltigen und über Jahrzehnte gewachsenen stadtpolitischen Bewegung. Wir sind dankbar, Teil dieser Unterfangen sein zu dürfen.

Modellprojekt – ein produktives Missverständnis? 

In unserer Forschung fragen wir uns, was es bedeutet, ein Vorhaben als Modellprojekt zu bezeichnen. Statt einer Definition des Begriffs möchten wir an dieser Stelle eine Beobachtung teilen: Selbst die Akteur*innen in den Modellprojekten verstehen unter dem Begriff „Modellprojekt“ verschiedene, teilweise sogar unvereinbare Dinge. So verstehen manche das Modellprojekt als Prototyp, für andere ist ein Modellprojekt ein Unikat.

Trotzdem ist dieser missverständliche Begriff durchaus produktiv: Im Fall von Haus der Statistik und Rathausblock konnte sich eine bemerkenswerte Konstellation von Akteur*innen aus Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft auf diesen Begriff einigen und neue Formen der Zusammenarbeit erproben. Das Missverständnis wird von vielen Akteur*innen toleriert, wenn nicht gar bewusst eingesetzt.

Smart Equivocations – Überwindung fundamentaler Differenzen

Ignacio Farías und Claudia Mendes (2019) bezeichnen ein solches toleriertes, produktives Missverständnis als smart equivocation. Indem sie mehr oder weniger fundamentale Differenzen zwischen den Akteur*innen verschleiert, macht eine solche smart equivocation (wie der Begriff „Modellprojekt“) also bestimmte Formen der Zusammenarbeit überhaupt erst möglich – inklusive der Lernprozesse, die damit einhergehen.

Wenn wir den Blick weiten und den Einfluss der einzelnen Modellprojekte auf die gesamte Stadt und ihre Zukunft werfen, wird jedoch deutlich, dass die Verwendung einer solchen smart equivocation Fragen offenlässt. Denn insbesondere verschleiert der Begriff „Modellprojekt“ verschiedene Auffassungen darüber, wie die betreffenden Projekte für die Zukunft der Stadt Berlin relevant werden können.

Wer Modellprojekte als „Prototypen“ versteht, legt nahe, dass diese Prototypen in der Folge in der ganzen Stadt in ähnlicher Weise umgesetzt und dabei weiterentwickelt werden. Wer die Modellprojekte hingegen als „Unikate“ versteht, die eine Ausnahme bilden, der lässt auch deren Beziehung zur Stadt und ihrer Zukunft im Unklaren.

Zaudern über Kontroversen hinaus

Wie wird dieses Missverständnis also wirklich produktiv? Wir gehen davon aus, dass es den Akteur*innen in den Modellprojekten – und uns allen – hilft, ins Zaudern zu kommen. Zaudern verstehen wir mit Joseph Vogl (2008) dabei als einen Moment des noch nicht Handelns – als einen letzten Schritt vor einer Handlung, und damit als Raum für Reflexion über Handlungen, die daraufhin in anderer Weise ausgeführt werden können.

In unserem Forschungsprojekt wollen wir das Zaudern über Begriffe ermöglichen – und damit Missverständnisse wie den Begriff „Modellprojekt“ besprechbar machen. Wir wollen das Zaudern über Kontroversen erwirken, die in langfristiger Zusammenarbeit heterogener Akteur*innen Räume des gemeinsamen Lernens aufmachen. Und wir wollen das Zaudern darüber anstoßen, wie modellhafte Elemente der Projekte übertragbar werden, um unsere Stadt in Zukunft für möglichst viele und möglichst verschiedene Menschen zugänglich und gestaltbar zu machen.

Ganz ohne Zaudern können wir abschließend sagen: Es reicht nicht, sich auf dem Titel „Modellprojekt“ auszuruhen. Es ist viel Arbeit nötig, um erprobte Elemente in Standards zu übersetzen. Und es braucht den politischen Willen, die nötigen Ressourcen und Infrastrukturen für neue Formen der gemeinwohlorientierten, kooperativen Stadtentwicklung langfristig sicherzustellen.


 

Dieser Text basiert auf einem Impulsvortrag im Rahmen des 34. Runden Tisches mit dem Thema „Modellprojekte und -prozesse in Berlin: Hybris oder echte Innovation?“. Er geht auf zentrale Hypothesen des Forschungsprojekts „Stadtentwicklung durch Public-Civic-Partnerships: Zusammenarbeit, Kontroversen, Modellierungen“ zurück.

Im Mittelpunkt des Forschungsprojektes stehen für das Team (bestehend aus Felix Marlow, Rebecca Wall, Ignacio Farías, Stassja Mrozinski und Paula Granda Ojeda) die über Partizipation hinausweisenden Formen der Zusammenarbeit, die produktive Rolle von Kontroversen um zentrale Konzepte sowie die Unterstützung von Modellierungsversuchen der Modellprojekte Rathausblock Kreuzberg und Haus der Statistik. Siehe auch: hu-berlin.de/pcpmodellprojekte/


 

Zum Weiterlesen


  • Farías, Ignacio / Mendes, Claudia (2018): A smart equivocation. Co-laboration and subsidiarity in a smart city consortium. In Karvonen et al.: Inside Smart Cities. Place, Politics and Urban Innovation. London: Routledge, S. 182 – 196.

  • Vogl, Joseph (2008): Über das Zaudern. Zürich: Diaphanes.


 

Über die Autor:innen


Felix Marlow ist Stadtanthopologe (HU Berlin)

Rebecca Wall ist Urbane Praktikerin (HU Berlin)

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